Santiago und Regen kann so schön sein 💦

Der letzte Walk heute. Die letzten 16 km. Irgendwie ein besonderes Gefühl, alles viel bewusster. Ich weiß, heute werden für dieses Abenteuer ein letztes Mal die Füße getapet, ein letztes Mal der Rucksack auf diese besondere Weise gepackt. Nicht alles reinstopfen, sondern alles Schwere körpernah, damit er sich gut tragen lässt.

Und noch etwas ist anders heute. Es regnet! Nicht in Strömen, nein, es ist dieser leichte Sprühregen.

Endlich weiß ich, dass es doch sinnvoll war, mein Regencape und die Regengamaschen all die Kilometer mit mir rumzutragen. Ich hatte schon überlegt, sie zurück zuschicken. Der Regen macht mir überhaupt nichts aus. Ich weiß schon aus Erfahrung, dass ich gut bei diesem Wetter laufen kann. Lustig ist, dass ich irgendwann nicht mehr unterscheiden kann, ob mein Gesicht vom Regen oder doch vom Schweiß nass ist. Ich denke beides, es schmeckt salzig 😂

Für mich ist Regen ein Himmelsgruss. Es gibt genug geliebte verstorbene Menschen und Katzen, die mir auf diese Weise einen guten Weg wünschen könnten heute.

Ich finde, wenn ich genau hinschaue, kann Regen sehr sehr schön sein. Letztendlich entscheide ich, ob ich “ das Wetter“ ganz schlimm finde, oder eben nicht.

Heute setzte ich jeden Schritt bewusster, in dem Wissen, dass jeder Schritt mich meinem Ziel näher bringt und eben auch etwas zu Ende geht.

Ich fotografiere viel mehr und mein Mann bleibt jedes Mal geduldig stehen. Meist läuft er hinter oder neben mir. Er spürt inzwischen schon die ersten Zeichen, dass ich gleich stehen bleibe. Wir sind ein richtig gut eingespieltes Team. Anfangs gab es noch ein paar “ Auflauf- Unfälle“. 😂 Immerhin ist er ja auch um ein vielfaches gewichtiger, mit seinem Rucksack. Da bremst man nicht so schnell ab.

Heute ist es nicht kalt und ich entscheide mich gegen die Hosenbeine an meiner Zipphose.

Allerdings kommen die Regengamaschen an die Waden. Ich bin ganz begeistert von Ihnen. Sie hatten schon des Öfteren ihren Einsatz bei meinem letzten Camino. Sie schützen die Hose oder die Unterschenkel vor Schmutz und Regen. Anders als eine Regenhose, beengen sie aber nicht und lassen mir noch genug Luft.

Und jetzt noch mein Schlumpfregencape. Auch so eine praktische Sache. Es ist so gearbeitet , dass der ganze Rucksack und die Claudia darunter passen. Eigentlich ist es ein ein- Frau- Zelt 😂. Bei meinem ersten Mal brauchte ich Hilfe beim Anziehen. Ich stand in der Landschaft und es war total windig. Ich steckte in der blauen Folie und fand den Ausgang für meinen Kopf nicht. Ich hatte schon Beklemmungen. Gott sei dank fanden sich ein paar hilfreiche Hände. Heute kann ich es schon alleine. 😊

Obwohl es jetzt nicht mehr weit war, wurde nicht der kürzeste Weg in die Stadt gewählt. Die Markierungen führten uns durch Wälder, Felder und durch kleine Dörfer. Auch wenn es sich anfühlte, als würden wir einen großen Umweg laufen, so war es Landschaftlich fast immer schön und entspannt.

Und dann kam die Stadt näher. Es ist eine ganz eigene Stimmung, langsam in eine Stadt zu laufen. Alles wird irgendwie enger, dichter und unruhiger. Bei Kilometerstein 6,60 km habe ich in der Ferne das erste Mal die Türme der Kathedrale erahnt und geweint. Ich kann kaum in Worte fassen, wie bewegend das ist.

Da ist sie. Kannst du sie sehen? Jetzt sind wir ganz nah dran. Ich grinse schon seit vielen Kilometern von einem Ohr zum anderen und gleichzeitig laufen mir die Tränen über die Wange. Ich bin so glücklich, dass mir viele Menschen entgegen strahlen. 😁

Mir ist das ja ein bisschen peinlich mit der Heulerei, aber so bin ich nun mal. Wenn mich etwas tief berührt gibt es Gänsehaut und Tränen und Lachen.

Und mit einem Mal sind wir angekommen. Stehen mitten auf dem Platz vor der Kathedrale. Es ist total unwirklich. Geschafft! Wir haben es geschafft. Ich habe ein regelrechtes Feuerwerk in mir. Lauter Glücksraketen zünden in mir. Ich lache laut, Jubel und weine.

So viele Menschen stehen und sitzen um uns herum. Auch sie sind gerade angekommen und kosten diesen besonderen Moment aus. Immer wieder sehen wir Menschen, die wir auf dem Weg getroffen haben. Wir umarmen uns.

Wir legen uns mitten auf den Platz, so dreckig und nass-geschwitzt, wie wir sind.

Offensichtlich sind wir ein beliebtes Fotomotiv . Immer wieder bleiben Leute stehen, um die echten Pilger zu fotografieren. Sogar ein japanisches Paar ist ganz aus dem Häuschen. Beide erfüllen total mein Bild von Japanern. Er mit seinem dicken Fotoapparat um den Hals und sie glücklich kichernd hinter uns, den Arm um uns gelegt. Jetzt ist sie auch mit auf dem Bild und ein Teil des Jakobswegs. Und wir lassen uns demnächst in Japan anschauen. „Kicher – Kicher“.

Irgendwann gehen wir unsere Compostela abholen. Dafür stehen wir 1 1/2 Stunden mit glücklichen zum Teil geduschten und ungeduschten Pilgern an. Menschen aus aller Herren Länder, die alle ihren individuellen Weg gegangen sind und alle auf ihre Art angekommen sind. Vor drei Jahren stand ich schon mal hier. Dieses Mal ist es anders. Dieses Mal steht der Mann neben mir, den ich über alles Liebe. Wir sind den Weg gemeinsam gegangen. Und wir durften erleben, wie sehr wir im Einklang miteinander sind. Schritt für Schritt. Er ist mein Fels in der Brandung. Ehrlich gesagt, war ich mir vorher nicht so sicher, ob dieser Weg harmonisch verlaufen würde. Aber wir haben die Feuertaufe bestanden. Wir sind so verschieden, dass wir uns wunderbar ergänzen.

Jetzt gibt es neue Pläne. Eine Christina lag neben uns auf dem Kathedralenplatz. Sie hat uns von einem Weg erzählt, der durch Italien verläuft. Er startet in Florenz und geht Richtung Rom.

Wenn ein Ziel erreicht wird, dann endet etwas. Aber gleichzeitig beginnt auch etwas Neues.

Wir hören voneinander. Dann vielleicht aus Italien.

Ich möchte dir von Herzen danken, dass du mich und uns auf diesem Weg begleitest hast. Ich weiß von einigen, dass meine Worte sie so inspiriert haben, dass sie auch den Camino gehen werden. Das lässt mich strahlen. Andere haben mir Nachrichten geschrieben und mich ermutigt, ein Buch über diesen Weg zu schreiben. Danke dafür. Ich werde ein Ebook schreiben, wenn wir wieder zu Hause sind. Ich danke euch Lesern, ich danke meiner Mutter für Ihre liebevollen täglichen Worte und ich Danke jedem Menschen, dem ich auf diesem Weg begegnet bin und mich mit seinem Sein bereichert hat. Heute Abend wird Geburtstag gefeiert. Ein Mitpilger wird 50 Jahre und hat uns eingeladen.

3 Gedanken zu „Santiago und Regen kann so schön sein 💦“

  1. Wie genial, dass Ihr es geschafft habt und an Eurem Ziel angekommen seid. 👍 Ich ziehe meinen Hut vor Euch 🎩.
    Du schreibst so toll und bildhaft, dass es Spaß gemacht hat, Deine täglichen Berichte zu lesen. Und Du hast ein Auge für tolle Fotos!
    Genießt die Zeit in Santiago!

  2. Buenos tades….oder guten Mittag..heute habe ich lange auf meine tägliche Lektüre gewartet..war wohl viel los in der Luft für die Wellen von Santiago hierher..😂😂 Ihr seit da, habt Euer Ziel erreicht..noch einmal meinen allerherzlichsten Glückwunsch..❤❤ ich bin mächtig stolz dabei gewesen zu sein..🤪🤪💋 und bei der Lektüre sind meine Tränen geflossen, heute besonders, ach ja, und Gänsehaut war auch dabei..😘😘 mein Erbe an Dich liebe Claudia..aber alles ok , das ist unsere persönliche Note…😊😊 nun wünsche ich Euch viele schöne entspannte Stunden dort..👍👍 bis dann, ich liebe Euch…❤❤💋💋💋💋💋💋💋💋💋

    1. Hach Mama, du bist die beste ❤️❤️❤️Ich liebe dich so sehr und übernehme gerne dein Erbe 💋 Heute Abend feiern wir mit Aart aus Holland seinen 50ten Geburtstag. Ein einziger Freudentaumel 😁😃😂

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