Schlafwandeln in Santiago


Wie fühle ich mich am “ Tag danach“? Ich weiß es nicht genau. Es ist alles so diffus. Ich komme mir vor, als würde ich Schlafwandeln. Als wäre ich nicht so richtig da. Immer noch nicht ist mir so richtig klar, was ich da eigentlich gemacht habe. Gestern, als ich auf dem Platz vor der Kathedrale ankam, war ich in einem unglaublichen Glückstaumel. Andauernd traf ich Pilger, die ich von meinem Camino kannte. Welch eine Freude❣Wir lagen uns in den Armen und beglückwünschten uns gegenseitig. Wir wussten genau, was wir da geleistet haben. Wie weh viele Schritte taten. Wie kalt sich der Rücken anfühlte, wenn man den Rucksack abnimmt, weil er so nass geschwitzt ist. Welche Glücksgefühle einen durchströmen, wenn man den Berg geschafft hat. „Well done, Claudia“ sagte Mike aus den USA.

Er war einer von den Pilgern, die auch in der Kirche geschlafen hatten. Erinnert ihr euch? Da, wo die Toilette draußen war. ?

Die Stadt brodelt. Die Altstadt ist ein einziger Freudentaumel. Man kann die Freude, die Erleichterung und den Stolz der Pilger regelrecht greifen. Überall Musik, Cafés draußen, glückliche Menschen. Großartig! Und ich gehöre dazu!

Am Abend habe ich Elvira wiedergetroffen- zufällig. ❤️ Mein Engel, als es mir so schlecht ging. Ich habe mich so sehr gefreut! Ich hatte es mir so sehr gewünscht. Wir haben zu Dudelsackmusik in der Straße getanzt.


Ich war Abends viel zu früh müde. So gerne hätte ich noch gefeiert. Aber es ging nicht. So viele Eindrücke gab und gibt es zu verdauen. Alles ist so unwirklich, auch Carsten an meiner Seite. Er ist mir entgegen gelaufen gestern. Ich war noch nie so schnell mit meinem Rucksack❣ Das war das größte Geschenk, was er mir machen konnte. Ich bin so glücklich und voller Liebe.

Es ist wie ein einziger Traum. ? Meine Füsse wollten in der Nacht gar nicht aufhören zu laufen. Boah, was taten die weh! Nachts um 1:00 Uhr habe ich sie noch kalt abgeduscht und massiert, um endlich schlafen zu können. Würden sie nicht immer noch so weh tun, würde ich mir selbst kaum glauben, dass ich über 720 km zu Fuß durch Spanien gelaufen bin. ? ( Ich weiß gar nicht genau, wieviel es exakt sind)


Das ist mein Pilgerausweis. Am Anfang gab es immer einen Stempel in jeder Herberge und an Orten, die mir besonders gut gefielen. Die letzten 100 km braucht man Morgens und Abends einen Stempel, um nachzuweisen, dass man sie zu Fuß gelaufen ist. Erst dann sind einem alle “ Sünden“ verziehen. Außerdem bekommt man nur dann auch die Compostela. 


Dafür habe ich mit Anne und zig anderen Pilgern bestimmt über eine Stunde in der Schlange gestanden.


Heute und auch gestern bin ich meinem Mann hinterher gelaufen und nicht mehr den gelben Pfeilen. Ich war einfach überfordert und so froh, dass ich mich ihm anvertrauen konnte.


Heute habe ich gemerkt, wie ein Teil Pilgerin von mir abfiel. Ich beginne mich zu lösen. Es macht mich ein bisschen traurig und ich brauche sicher noch etwas Zeit. Wir haben die letzten beiden Tage mit meiner Pilgerfreundin Anne verbracht. Der Abschied vorhin war tränenreich. Sie fliegt morgen nach Hause. ? Es war ein großes Geschenk, mit ihr die letzten Kilometer zu laufen. Ich habe sie tief in mein Herz geschlossen. ? Und ich vermisse ihr liebes, lustiges und unkompliziertes Wesen jetzt schon!

Morgen geht es and Meer, an das Ende der Welt. Ich freue mich darauf und hoffe, dass es dort etwas ruhiger wird. Dort werde ich noch etwas unter die Pilger tauchen.


Natürlich waren wir in der Pilgermesse. Es war proppenvoll. Verrückterweise haben wir den Gottesdienst verlassen, kurz bevor der große Weihrauchkessel geschwungen wurde. Wir dachten, die Messe sei zu Ende. Sollte wohl nicht sein. ?

Letzter Blick heute aus dem Hotelzimmer. Gute Nacht ??

6 Gedanken zu „Schlafwandeln in Santiago“

  1. Gerade habe ich mit großer Freude Deinen heutigen Bericht verschlungen. Im Laufe des Tages habe ich bestimmt 20 Mal nachgeschaut, ob Du Dich schon gemeldet hast. Deine Berichte gehören schon fest zum Tagesgeschehen… Ich freue mich, dass Du sooo glücklich bist! Du hast aber auch allen Grund dazu, nach solch einer Leistung und solch schönen Eindrücken. Doch leider bedeutet das Ende einer schönen, emotionalen (Pilger)Reise auch immer Abschied und Schmerz… Aber Du hast ja noch ein paar (Joker)Tage. Genieße sie mit jeder „Faser“ Deiner Seele.
    Ich drücke Dich ganz fest G-c??
    Gruß an Deinen Mann

    1. Gudrun, du bist einfach klasse ? Ja, du hast recht, ich habe noch den Joker❣Das ist einfach perfekt. Heute morgen habe ich mich dafür entschieden, dankbar, statt wehmütig zu sein. Ich habe so eine Fülle wundervoller Menschen, Eindrücke, Orte und Emotionen erlebt, wie wunderbar. Alles ist gut, wie es ist. Und nun freue ich mich aufs Frühstück und aufs Meer. ❤️❤️❤️❤️? Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit dir. Ich umarme dich ?

  2. Guten Morgen liebe Claudia,
    Nun hat die Wirklichkeit Dich wieder..Erst zu Hause wirst Du merken und vielleicht auch aufnehemen was Du geleistet hast..all die vielen Eindrücke, Menschen und Emotionen…
    viel, sehr viel zu verdauen..Jörg hat geschrieben: Dein Camino ist noch nicht zu Ende, das glaube ich auch…Ich möchte mich auch bei Dir für die wundervolle Berichterstattung bedanken, es war wie ein Buch lesen und schon gespannt auf das nächste Kapitel warten..Danke…
    Und nun wünsche ich Dir und Carsten ein paar entspannte Tage in der Sonne Spaniens, genießt sie..
    Liebe Grüße an Carsten und einen dicken Kuss an Euch Beide von Deiner Mama

  3. Hallo liebes!! Ich lese jeden Abend Fleisig deinen Blog, so Wander ich in Gedanken mit dir weiter! Es war so toll mit dir und es war ein Geschenk dich kenne zu lernen und mit dir die letzten Tage zu verbringen! Ich bin heil froh das wir nicht so weit auseinander leben und wir uns immer besuchen können:-)))) eine schöne Reise euch beiden noch!!!

    1. Liebe liebe Anne❣Wir haben uns genau zur rechten Zeit kennengelernt. Du bist so eine wunderbare, sympathische, amüsante und liebenswerte Wegbegleiterin❣❣Es war eine große Freude mit dir zu gehen. Carsten und ich waren in Santiago noch auf dem Markt, ich habe ständig dein Gesicht gesehen und gehört: Iiiih, das ist ja eklig ???
      Lass es dir gut gehen, liebe Anne und bleib dir treu ? Wir sehen uns wieder ?

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